Brüssel verklagt Großbritannien wegen EU-Bürgerrechten und Investitionsstreitigkeiten: Neue Spannungen gefährden Brexit-Neuanfang
Was geschah
Am Montag kündigte die Europäische Kommission an, Großbritannien in zwei separaten Rechtsstreitigkeiten vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu bringen. Dies verschärft die Spannungen, gerade als London einen „Neustart“ in seinen Beziehungen zur Europäischen Union nach dem Brexit anstrebt. Diese Fälle drehen sich um ungelöste Probleme, die bereits vor dem Ende der Brexit-Übergangsfrist im Jahr 2021 bestanden.
Die Europäische Kommission, die die EU vertritt, klagt gegen Großbritannien. Es gibt zwei zentrale Beanstandungen. Erstens wirft die EU Großbritannien vor, die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien nicht ausreichend zu schützen – insbesondere hinsichtlich ihres Übergangs vom „vorläufigen“ zum „dauerhaften“ Aufenthaltsstatus gemäß dem EU Settlement Scheme des Vereinigten Königreichs. Zweitens wird Großbritannien vorgeworfen, veraltete bilaterale Investitionsabkommen (BITs) mit sechs EU-Mitgliedstaaten nicht gekündigt zu haben. Das Verfahren findet vor dem Europäischen Gerichtshof, dem höchsten Gericht der EU mit Sitz in Luxemburg, statt. Die ursprüngliche Beschwerde bezüglich der Bürgerrechte stammt aus dem Jahr 2020. Das Gerichtsverfahren wurde zuvor ausgesetzt, um das Vertrauen zwischen London und Brüssel zu fördern, aber am Montag bestätigte die Europäische Kommission, dass das Verfahren nun fortgesetzt wird. Gleichzeitig treibt die Kommission auch die Klage im Zusammenhang mit den bilateralen Investitionsabkommen voran. Trotz des formellen Austritts Großbritanniens aus der EU unterliegen einige ungelöste Fragen weiterhin dem EU-Recht, insbesondere solche, die vor dem Ende der Übergangszeit bestanden. Die EU behauptet, dass Großbritannien rechtlich verpflichtet ist, die vereinbarten Bürgerrechte einzuhalten und bestimmte alte BITs zu beenden, die nicht mehr mit dem Rechtsrahmen der EU übereinstimmen.
Wichtigste Punkte
- Steigende rechtliche Spannungen: Die Entscheidung der Europäischen Kommission, Großbritannien vor den EuGH zu bringen, deutet auf eine erneute Phase der Reibung hin und könnte Londons Absicht, die Beziehungen zu Brüssel zu verbessern, untergraben.
- Rechte von EU-Bürgern im Mittelpunkt: Im Mittelpunkt des ersten Falls steht die Frage, wie Großbritannien mit den Aufenthaltsrechten von EU-Bürgern umgeht. Die Komplexität des EU Settlement Scheme – insbesondere der Übergang vom „vorläufigen“ zum „dauerhaften“ Status – hat scharfe Kritik hervorgerufen. Obwohl das britische Innenministerium den vorläufigen Status kürzlich von zwei auf fünf Jahre verlängert hat, bleibt die EU besorgt über Verzögerungen, digitale Statusaktualisierungen und die allgemeine Rechtssicherheit.
- Bilaterale Investitionsabkommen unter Beschuss: Der zweite Fall betrifft das Zögern Großbritanniens, alte bilaterale Investitionsabkommen mit bestimmten EU-Mitgliedstaaten zu beenden, darunter Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Die Kommission argumentiert, dass diese veralteten Abkommen gekündigt werden müssen, da sie nicht mehr in den Rechtsrahmen der EU passen.
- EuGH-Gerichtsbarkeit ist weiterhin relevant: Obwohl der Brexit das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU neu definiert hat, behält der EuGH die Befugnis, über Fragen zu entscheiden, die auf die Zeit vor dem vollständigen Austritt Großbritanniens zurückgehen. Sollte das Gericht der Kommission Recht geben, ist Großbritannien an das Urteil gebunden.
Detaillierte Analyse
Der Zeitpunkt dieser rechtlichen Schritte ist bedeutsam. Großbritannien und die EU haben öffentlich Interesse an einem „Neustart“ – einem konstruktiveren und kooperativeren Ansatz für ihre zukünftige Partnerschaft – bekundet. Die erneuten Gerichtsverfahren zeigen jedoch, dass grundlegende Meinungsverschiedenheiten unter der Oberfläche bestehen.
Aus geopolitischer Sicht unterstreicht die Entscheidung der EU, beim EuGH vorzugehen, das Engagement Brüssels, die Rechte seiner Bürger im Ausland zu wahren und die Integrität seines Rechtsrahmens aufrechtzuerhalten. Für Großbritannien stellt diese Entwicklung eine Herausforderung dar. Einerseits will sich London als zuverlässiger globaler Partner präsentieren, der sich für eine faire Behandlung internationaler Einwohner und stabile Investitionsbedingungen einsetzt. Andererseits steht es in der Kritik, Teile der ursprünglichen Austrittsvereinbarungen nicht vollständig erfüllt zu haben.
Wirtschaftlich gesehen könnte diese Reibung neue Unsicherheiten in die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU bringen. Investoren aus dem Ausland könnten die Rechtsstreitigkeiten als Zeichen anhaltender Unvorhersehbarkeit interpretieren. Im Laufe der Zeit könnte eine solche Unsicherheit das Handelsvolumen, Geschäftsentscheidungen und die Attraktivität Großbritanniens als Tor zum europäischen Markt beeinflussen. Unternehmen, die auf einen nahtlosen Handel zwischen der EU und Großbritannien angewiesen sind, könnten sich im Kreuzfeuer wiederfinden, da neue Präzedenzfälle potenziell regulatorische Belastungen und Compliance-Kosten beeinflussen.
Im Bereich der menschlichen Mobilität könnten EU-Bürger, die in Großbritannien leben, weiterhin Ängste erleben, da ihr digitaler Einwanderungsstatus, ihre Rechte und ihre langfristigen Bleibeperspektiven unter Beobachtung stehen. Dies könnte einige qualifizierte Arbeitskräfte dazu veranlassen, einen Umzug in EU-basierte Zentren in Betracht zu ziehen, was sich auf die Talentpools und Arbeitsmärkte auswirkt.
Schließlich zeigt der Fall der bilateralen Investitionsabkommen, wie eng das EU-Recht und die internationalen Abkommen der Mitgliedstaaten einst miteinander verflochten waren – und wie sich die Entflechtung dieser langjährigen Instrumente als komplexer erweisen kann als erwartet. Die EU möchte ihr Investitionsschutzregime straffen, und die Verzögerung Großbritanniens bei der Beendigung dieser Abkommen wird als Verstoß gegen frühere Zusagen angesehen.
Wussten Sie schon?
- Reste der EuGH-Befugnisse: Trotz des offiziellen Austritts Großbritanniens aus der EU am 31. Januar 2020 und des Endes der Übergangszeit am 31. Dezember 2020 behält der Europäische Gerichtshof die Zuständigkeit für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Verpflichtungen und Vereinbarungen, die vor diesem Stichtag getroffen wurden. Das bedeutet, dass der Brexit die Exposition Großbritanniens gegenüber der gerichtlichen Aufsicht der EU nicht vollständig beendet hat.
- Verlängerter vorläufiger Status: Als Reaktion auf Bedenken hat das britische Innenministerium bereits Änderungen am EU Settlement Scheme vorgenommen und den vorläufigen Status von zwei auf fünf Jahre verlängert. Diese Maßnahme sollte EU-Bürgern ihre Rechte versichern, doch die EU ist der Ansicht, dass mehr getan werden muss, um einen nahtlosen Übergang zum vollständigen „dauerhaften“ Status zu gewährleisten.
- Historische Investitionsabkommen: Bilaterale Investitionsabkommen waren einst gängige Instrumente zur Sicherung grenzüberschreitender Kapitalströme zwischen europäischen Nationen. Nach der Erweiterung und Integration der EU hat die EU einen einheitlicheren und aktualisierten Ansatz bevorzugt, wodurch bestimmte ältere Abkommen obsolet geworden sind. Die verbleibenden BITs Großbritanniens mit 11 EU-Ländern veranschaulichen die komplexen rechtlichen Aufräumarbeiten, die nach dem Brexit noch anstehen.
- Jenseits der Brexit-Schlagzeilen: Während Brexit-Verhandlungen und Handelsabkommen oft im Mittelpunkt stehen, heben diese weniger bekannten Rechtsfälle die feineren, komplizierteren Details der Entflechtung Großbritanniens von den EU-Vorschriften hervor. Jeder Rechtsstreit, der beim EuGH landet, ist eine Erinnerung daran, dass der Brexit-Prozess sich weiterentwickelt und dass beide Seiten sorgfältig daran arbeiten müssen, verbleibende rechtliche Verpflichtungen zu lösen.
Durch eine eingehendere Betrachtung dieser Fälle verstehen wir nicht nur die unmittelbaren Spannungen, die sie erzeugen, sondern erkennen auch die anhaltende Komplexität des Verhältnisses zwischen Großbritannien und der EU, während es von der Scheidungsvereinbarung zum Schmieden eines neuen Kapitels der Koexistenz übergeht.